Weltraumforschung

Copyright: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)

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Was wir aus der Weltraumforschung lernen können

 

Handstaubsauger, Gel-Einlagen für Schuhe, Klettverschlüsse – von zahlreichen Erfindungen, die ursprünglich das Leben im All besser machen sollten, profitieren wir auch im Alltag. Doch lassen sich auch medizinische Erkenntnisse aus der Weltraumforschung auf das Leben auf der Erde übertragen? Wir haben nachgefragt – bei Professor Jörn Rittweger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. In der medizinischen Forschungseinrichtung „:envihab“ untersuchen der Weltraumphysiologe und sein Team unter anderem, wie Astronauten dem Knochen- und Muskelabbau im All vorbeugen können.

Mehrere Monate im Weltraum zu verbringen, ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Welche Auswirkungen hat ein solcher Aufenthalt auf die Astronauten?

Erforscht medizinische Auswirkungen von Aufenthalten im All: Prof. Dr. med. Jörn Rittweger, Leiter der Weltraumphysiologie am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR

Erforscht medizinische Auswirkungen von Aufenthalten im All:
Prof. Dr. med. Jörn Rittweger, Leiter der Weltraumphysiologie am Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin des DLR

Rittweger: Im All unterwegs zu sein wirkt sich auf die Psyche aus, die Isolation ist mental sehr fordernd. Gleichzeitig kann es wegen der fehlenden Belastung und Bewegung unter anderem zu Herz-Kreislauf-Problemen kommen und zu Abbauprozessen an Knochen, Muskeln, Sehnen und Bändern. Wir beobachten Muskelschwund und die Knochendichte nimmt ab. Grund dafür ist vor allem der fehlende Widerstand in der Schwerelosigkeit.

Was tun die Astronauten, um das zu verhindern?

Rittweger: Um in der Schwerelosigkeit zu trainieren, gibt es spezielle Sportgeräte. Auf der ISS ist derzeit ein Vibrationstrainingsgerät im Einsatz, das den Muskel durch Vibration mehr als 20 Mal pro Sekunde kontrahieren lässt. Im :envihab, unserer Forschungseinrichtung im DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, wird außerdem gerade einen Sprungschlitten getestet, der Sprünge in der Schwerelosigkeit ermöglicht. Denn Springen ist die Bewegung, bei der der Körper die meiste Kraft aufbringen muss. Den Schlitten wurde in einer sechzigtägigen Bettruhestudie mit freiwilligen Probanden eingesetzt, die sich in sogenannter Kopf-Tieflage befanden. Ihr Kopf liegt dabei permanent um sechs Grad tiefer als die Füße, was ähnliche Auswirkungen auf die Flüssigkeiten im Körper hat wie ein Aufenthalt im All. Ein Teil der Gruppe trainiert täglich mit dem Sprungschlitten, der Rest führt kein Training durch. Derzeit werden die Ergebnisse ausgewertet, und bereits die ersten Beobachtungen waren sehr positiv.

Wie ist der aktuelle Stand der Forschung?

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Rittweger: Aus früheren Untersuchungen mit dem Vibrationstraining wissen wir, dass wir durch regelmäßiges Training Knochen- und Muskelmasse vollständig erhalten können. Zu diesem Ergebnis kommen auch unsere Untersuchungen an den Astronauten auf der ISS: Je besser die Betroffenen trainieren, desto höher ist ihre Knochendichte. Wir hoffen, dass das Training bald so effizient ist, dass auch Langzeitaufenthalte im All möglich sein werden. Lediglich der Muskelkater nach der Rückkehr zur Erde würde dann noch stören.

Inwiefern lassen sich Ihre Forschungsergebnisse auch auf der Erde nutzen?

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Rittweger: Dazu ein Beispiel: Während meines Studiums war der Stand der Wissenschaft, dass Osteoporosepatienten keinesfalls Sport machen sollten. Heute wissen wir, dass eine gesunde Muskulatur zum Teil die typischen osteoporotischen Brüche verhindern kann. Daher ist Training Bestandteil der Therapie. Zu diesem Paradigmenwechsel hat die Weltraumforschung beigetragen. In vielerlei Hinsicht hilft sie uns, klinische Fragestellungen besser zu verstehen.

Welche Forschungsbereiche könnten zukünftig interessant werden?

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Rittweger: Neben der Strahlung gilt derzeit erhöhter Hirndruck als größtes Hindernis für Langzeitaufenthalte im Weltraum. In diesem Feld beginnen wir gerade zu forschen. Von den Ergebnissen können beispielsweise Patienten profitieren, die an dauerhaft erhöhtem Hirndruck leiden. Hier hat sich sogar schon etwas getan: Aus der Weltraumforschung wissen wir nämlich, dass die geänderten Druckverhältnisse Auswirkungen auf das Sehvermögen haben und zum Beispiel zu Weitsichtigkeit führen. Deshalb beziehen Augenärzte inzwischen den Druck auf der Rückseite des Auges in ihre Untersuchungen ein. Da hat vorher niemand drüber nachgedacht.

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